Eine kurze Erklärung der Kathedrale

Oligarchien führen von Natur aus zu Ideen, die den Einsatz von Macht rechtfertigen, sagt Curtis Yarvin – und meint damit unsere Demokratie. Hier erklärt der einflussreichste Denker des Dark Enlightenments, welches Mysterium hinter seiner Metapher von „der Kathedrale“ steckt.

von Curtis Yarvin

Das Etikett „die Kathedrale“ ist lediglich eine Kurzform von „Journalismus plus akademische Welt“ – es bezeichnet die intellektuellen Institutionen im Zentrum der modernen Gesellschaft, so wie das Wort „Kirche“ für die intellektuellen Institutionen im Zentrum der mittelalterlichen Gesellschaft stand.

Aber dieses Etikett bringt auch etwas auf den Punkt. Die katholische Kirche ist eine Institution – die Kathedrale viele. Trotzdem steht das Etikett im Singular. Diese Transformation vom Vielen zum Einen – buchstäblich E pluribus unum – ist das Herzstück des Mysteriums im Herzen der modernen Welt.


Das Mysterium der Kathedrale

Das Mysterium der Kathedrale besteht darin, dass sich alle legitimen und angesehenen intellektuellen Institutionen der modernen Welt, obwohl ihnen keine zentrale organisatorische Verbindung eigen ist, in vielerlei Hinsicht so verhalten, als wären sie eine einzige Organisationsstruktur.

Vor allem aber ist diese Pseudostruktur synoptisch: Sie hat eine klare Doktrin oder Perspektive. Sie stimmt immer mit sich selbst überein. Als noch rätselhafter erweist sich, dass ihre Doktrin nicht statisch ist, sondern sich entwickelt; sie hat eine vorhersehbare evolutionäre Richtung und ihre gesamte Struktur bewegt sich zusammen.

Ein Beispiel: Im Jahr 2021 vertreten Harvard, Yale, die New York Times und die Washington Post dieselben Standpunkte. Wenn es zwischen zwei dieser angesehenen amerikanischen Institutionen überhaupt einen doktrinellen Unterschied gibt, dann ist er zu unaussprechlich, als dass ihn jemand außer einem Yale-Absolventen wahrnehmen könnte (obwohl es vielleicht auch aussagekräftig ist, dass mein Blog Gray Mirror nicht in Harvard gelehrt wird).

Auch im Jahr 1951 waren Harvard, Yale, die Times und die Post sich einig. Aber Yale befand sich 1951 bei weitem nicht an derselben Position wie Yale im Jahr 2021. Könnte man eines der beiden Yales in die Zeitzone des anderen teleportieren, würden sie sich gegenseitig als Hort intellektueller Verbrecher sehen.

Niemals würden wir einer einzelnen Organisation wie etwa der katholischen Kirche dieses Maß an axiomatischer Unfehlbarkeit zugestehen.

Curtis Yarvin

Es geht also nicht nur darum, dass alle – zumindest alle Coolen – auf der gleichen Seite stehen. Es ist eher so, dass jeder das gleiche Buch liest – und zwar in der gleichen Geschwindigkeit. Kein Wunder, dass alle Proleten Verschwörungen in ihrer verdammten Suppe entdecken. Wenn Sie eine Gruppe heller roter Punkte sehen würden, die sich auf diese Weise über den Abendhimmel bewegen, was würden Sie denken, worum es sich handelt? Tauben? Ferngesteuerte Tauben, die von Lasern angestrahlt werden? Manchmal ist sogar Ockham verblüfft.

Darüber hinaus erweist sich das Mysterium der Kathedrale von entscheidender Bedeutung für das Wesen, das Schicksal und die Erkenntnistheorie unserer Gesellschaft, denn wir betrachten den dezentralisierten Charakter dieser angesehenen und vertrauenswürdigen Institutionen als unantastbaren Grundsatz unserer geistigen Sicherheit. Niemals würden wir einer einzelnen Organisation wie etwa der katholischen Kirche dieses Maß an axiomatischer Unfehlbarkeit zugestehen – denn das hieße, alles, was wir an Hirn besitzen, auf ein Pferd zu setzen. Kein noch so großer Esel würde diesen Fehler begehen.

Wir sind uns zwar bewusst, dass Einzelpersonen – selbst sehr kluge Personen – in ihrer Wahrnehmung und Analyse der Realität enorm daneben liegen können, und obwohl wir wissen, dass sogar Gruppen dazu fähig sind (weshalb der Begriff „Gruppendenken“ eingeführt wurde), sind wir uns doch sicher, dass nicht alle gemeinsam falsch liegen können. Irren ist menschlich – aber die Ausmerzung von Irrtümern erweist sich als eine Frage hinreichender statistischer Aussagekraft.

Doch Statistik funktioniert nur, wenn die Stichproben unabhängig voneinander sind. Wenn sie von einer mysteriösen Kraft koordiniert werden, messen wir nicht die Realität, sondern bloß diese Kraft.

Und tatsächlich scheinen unsere Stichproben nur nominell unabhängig voneinander zu sein. Wir können zwar keine offensichtliche organisatorische Verbindung zwischen ihnen erkennen, aber sie sind stark korreliert. Und sie behalten diese Korrelationen auch dann bei, wenn wir sie über lange Zeiträume hinweg untersuchen.

Eine solche Form von koordiniertem Fortschritt ist in den Naturwissenschaften und im Ingenieurwesen zu erwarten. Diese Bereiche werden durch zwei unerbittliche Kräfte eingeengt: die physikalische Realität und die menschliche Ignoranz. Letztere lockert ihren Griff nur um schmerzlich erkämpfte Millimeter.

Die Institutionen sind bloß Marken – Zeichen von Prestige

Curtis Yarvin

Aber die physische und menschliche Lage in den Künsten und Geisteswissenschaften – in der Philosophie, Ethik, Literatur, Religion und Politik – ist seit Jahrtausenden weitgehend unverändert geblieben. Wir sehen keine Beweise für eine äußere und einseitig gerichtete Kraft, die diese Bereiche koordinieren könnte. Und doch sind dies genau jene Bereiche, die sich am schnellsten zu bewegen scheinen.

Wer sind wir? Wohin gehen wir? Wenn wir die Kräfte verstehen könnten, die uns antreiben, wären wir in der Lage, vorherzusagen, wohin wir gehen. Leider könnte die Antwort lauten: in die Hölle.


Darwin und der Diskurs

Harvard ist keine Blackbox. Wir wissen, wie solche Organisationen funktionieren.

Die Institutionen der Kathedrale sind nicht relevant, weil es sich bei ihnen um hierarchische Befehlsstrukturen handelt. Sie sind keine Armee von Ideen wie die Kirche. Der Dekan der Fakultät für Chemie sagt den Chemie-Professoren nicht, was sie nach Gottes Meinung über Methyl-Fluorkohlenstoffe denken sollen.

Die Kathedrale fungiert vielmehr als Diskurs – nicht als Armee, sondern als Markt an Ideen. Die Institutionen sind bloß Marken – Zeichen von Prestige. Die Ideen auf diesem Markt entwickeln sich; sie reproduzieren sich, indem sie gelehrt werden, sie mutieren, indem sie gedacht werden, und ihre Selektion erfolgt durch …

Wodurch? Wenn wir wissen wollen, wie sich ein darwinistisches System entwickelt, müssen wir uns den Selektionsdruck ansehen, der auf seine Organismen wirkt. Wonach selektiert unsere Kathedrale?

Betrachten wir zunächst den solidesten Teil des Gebäudes: die Mathematik. In der Mathematik ist der Markt der Ideen überschaubar. Fehler werden nicht geduldet. Prioritäten sind strikt zu beachten. Sogar über die Wichtigkeit und Qualität mathematischer Ergebnisse herrscht im Allgemeinen Einigkeit. Selbst in der Sowjetunion und Nazideutschland hat sich die reine Mathematik als Fachgebiet recht gut behauptet.

In der Mathematik ist der einzige Selektionsvorteil, den eine Idee haben kann, der Umstand, dass es sich bei ihr um gute Mathematik handelt. Gute Mathematik schlägt schlechte Mathematik. Mathematik eignet sich perfekt für die Kathedrale – und die Sowjetunion. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass irgendeine Regierungsform so dysfunktional und dystopisch ist, dass sie, angesichts rohen autistischen IQ-Talents, keine Fortschritte in der Mathematik machen könnte.

In der Mathematik ist der einzige Selektionsvorteil, den eine Idee haben kann, der Umstand, dass es sich bei ihr um gute Mathematik handelt.

Curtis Yarvin

Die exakten Wissenschaften sollen wie Mathematik funktionieren. An bestimmten Punkten, in bestimmten Fachgebieten und auf bestimmte Weisen tun sie das auch. Nur in wenigen Punkten sind sie vollkommen beschädigt, aber das hängt natürlich von unserer Definition des Begriffs „Exakt“ ab.

Doch auch in der Wissenschaft spüren wir bereits, dass es noch andere Kräfte gibt; dass der Selektionsvorteil einer Idee möglicherweise nicht allein von der Qualität dieser Idee abhängt; dass ein gewisses gemeinsames Qualitätsbewusstsein zwar intakt bleibt, es aber allmählich wie ein altes Erbe wirkt, das erodiert.

Und im Osten der Wissenschaft – nun ja, De gustibus non est disputandum. In der Debatte zwischen Yale 1951 und Yale 2021 kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Ich bin der Meinung, dass im Allgemeinen zwar beide Seiten einige Punkte erzielen, aber die erstere bei weitem nicht harsch genug agiert. Doch das ist nur meine Meinung.

Aber nehmen wir mal an, es ist so, wie ich sage, und Yale befindet sich im Niedergang. Yale besteht aus Menschen und Ideen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass psychometrische Tests einen großen Unterschied in der Intelligenz der Studenten und Professoren zwischen 1951 und 2021 aufzeigen würden – und sie könnten durchaus zu Gunsten Letzterer ausfallen.

Was darauf hindeutet, dass hier sämtliche Probleme aufseiten der Ideen liegen – dass irgendwie schlechte Ideen in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten von Yale (und überall sonst) gediehen sind. Wie giftige Grünalgen in einem zuvor noch blauen Bergsee. Warum sollte das passiert sein?

Es muss mit dem Muster des Selektionsvorteils auf diesem Marktplatz der Ökologie zusammenhängen. Vielleicht hat eine nahegelegene Schweinefarm eine Flut von Abwässern in den See geleitet. Schweinegülle ist ein Nährstoff, der das Muster des Selektionsvorteils im See verändert und es leichter macht, als stinkende Algenblüte zu existieren und schwerer, als glückliche Regenbogenforelle zu gedeihen.


Eine Parabel

Auf dem Kontinent Mu gibt es zwei Nationen, Mundana und Mutopia. Wie Burundi und Ruanda haben sie sehr ähnliche Bevölkerungen, aber sehr unterschiedliche Regierungen.

Mundana ist eine althergebrachte absolute Monarchie mit einer offiziellen Staatsreligion wie das zaristische Russland. Mutopia ist eine fortschrittliche, liberale Demokratie, ähnlich wie hierzulande, aber noch ausgeprägter. In Mundana wird man schon geköpft, wenn man sich bloß schwul gibt; in Mutopia muss man es dagegen, na ja, zumindest ein Mal ausprobiert haben.

Mundana hat einen sogenannten Titan-Vorhang zwischen sich und diesem heillosen Dreck errichtet, der jeden sozialen und intellektuellen Kontakt verhindert. Aber auch in Mundana gibt es liberale Intellektuelle – wie sich herausstellt, sind manche Menschen so geboren. Diese Freidenker werden natürlich von der Geheimpolizei des Zaren gejagt und müssen voll abgedrehten, verschlüsselten Internet-Kram nutzen, um zu leben, zu atmen, zu denken, als Internet-Troll zu agieren und Verabredungen für schwule Bondage-Dates zu treffen.

Mutopia hingegen wird selbstverständlich von liberalen Intellektuellen geführt. Um genau zu sein: Mutopia wird von einem permanenten Verwaltungsstaat regiert, der eine Politik umsetzt, die von liberalen Professoren in angesehenen Institutionen entworfen und von liberalen Journalisten in angesehenen Institutionen überwacht wird. Diese Jobs sind schwer zu bekommen, doch es ist großartig, sie zu haben. Und niemand braucht die Professoren und Journalisten zu beaufsichtigen – sie sind Wächter ihrer selbst. Toll!

Nun, welche liberalen Intellektuellen haben Ihrer Meinung nach die besseren Ideen? Denken Sie daran, dass die mundanischen Intellektuellen nicht hören können, was die Mutopianer sagen und umgekehrt – es handelt sich um zwei völlig getrennte Marktplätze für Ideen.

Und niemand braucht die Professoren und Journalisten zu beaufsichtigen – sie sind Wächter ihrer selbst. Toll!

Curtis Yarvin

Ich weiß: Ihre intuitive Antwort lautet, dass Sie bessere, hochwertigere Inhalte von mundanischen Dissidenten als von mutopischen Professoren erhalten werden. Sehen wir uns an, warum Sie Recht haben.


Der Selektionsvorteil dominanter Ideen

Bei den Abwässern, die den See verschmutzen, handelt es sich um Souveränität. Die mundanischen Dissidenten haben bessere Ideen als die mutopischen Professoren, weil Professoren Souveränität besitzen und Dissidenten nicht.

Die Professoren und Journalisten von Mutopia sind souverän, weil ihnen endgültige Entscheidungen anvertraut werden, und es keine Macht gibt, die über ihnen steht. Nur Professoren können hier politische Grundsätze formulieren, das heißt, die Strategie der Regierung festlegen; und nur Journalisten können die Regierung zur Rechenschaft ziehen, das heißt, die Taktik der Regierung steuern. Strategie plus Taktik ergibt Kontrolle.

Die mundanischen Dissidenten besitzen keine Souveränität, weil sich weder der Zar noch die Kirche dafür interessieren, was sie denken. Diese Mächte kümmert es, dass sie denken, und ihr einziger Wunsch besteht darin, dass dieses Denken aufhört – außerdem wissen sie genau, wo sie den Einschnitt vornehmen müssen. Dissidenten haben keinen guten Grund, überhaupt zu denken – es ist also völlig egal, was sie denken.

In den geheimen, kerzenbeleuchteten Gemächern des oppositionellen Mundana handelt es sich bei jenen Ideen, die gewinnen, einfach um die besten Ideen und bei den Intellektuellen, die gewinnen, einfach um die besten Denker. In Mundana besteht der einzige Selektionsvorteil, den eine Idee haben kann, in ihrer schieren Wahrheit und/oder Schönheit. Das Leben eines Dissidenten aus Mundana ist grauenvoll, aber hart wie ein Diamant und äußerst rein.

In den Hörsälen und Nachrichtenredaktionen von Mutopia hingegen gibt es einen Markt für dominante Ideen. Eine dominante Idee ist eine Idee, die den Einsatz von Macht rechtfertigt. So eine Idee genießt auf dem mutopischen Markt selektiven Rückenwind.

Und es gibt keinen Markt für rezessive Ideen. Eine rezessive Idee ist eine Idee, die Macht oder ihren Einsatz für ungültig erklärt. Eine solche Idee wird auf dem mutopischen Markt auf selektiven Gegenwind stoßen. Keiner dieser verzerrenden evolutionären Effekte tritt bei den Dissidenten von Mundana auf.

Eine dominante Idee ist eine Idee, von der Sie und Ihre Freunde profitieren.

Curtis Yarvin

Nehmen wir das Problem des Klimawandels. Es gibt zwei Antworten auf dieses Problem: Handeln oder Nichtstun. Handeln erfordert Energie – und zwar eine Menge, denn es müssen etwa 10^14 Dollar an wirtschaftlichen Aktivitäten umgelenkt werden. Kein Ding!

Die Idee des Klimawandel-Alarmismus entspricht dem Handeln. Die Idee der Klimawandel-Leugnung entspricht der Untätigkeit. Ohne zu wissen, welche Seite Recht hat, können wir feststellen, dass der Alarmismus eine dominante Idee ist, während es sich bei der Leugnung um eine rezessive Idee handelt.

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum in den Hörsälen und Nachrichtenredaktionen dominante Ideen dazu neigen, rezessive Ideen zu verdrängen. Eine dominante Idee ist eine Idee, von der Sie und Ihre Freunde profitieren. Eine dominante Idee wird bei Ihren Freunden und ehemaligen Studenten im öffentlichen Dienst besonders beliebt sein, weil sie ihnen mehr Arbeit und mehr Macht verschafft.

Und eine rezessive Idee bringt natürlich das Gegenteil von all diesen Dingen mit sich. Ein Klimawissenschaftler, der die rezessive Idee des Klimaleugnertums vertritt, sagt seinen Kollegen und der ganzen Welt: Klimawissenschaft ist nicht wichtig. Ist es da – im bayesschen Sinne – überraschend, dass ein Konsens der Klimawissenschaftler zu dem Schluss kommt, dass Klimawissenschaft wichtig ist?

Nichts in dieser Analyse verrät uns, ob die dominante Idee oder die rezessive Idee etwas taugt. Was sie uns sagt, ist, dass die mutopische Kathedrale es uns nicht sagen kann – weil ihr Marktplatz der Ideen immer die dominante Idee selektieren wird.

Wenn wir Pseudoinformationen, die sich offensichtlich auf diese Weise entwickelt haben, beseitigen, bleibt nicht das Gegenteil der Pseudoinformation übrig, sondern Abwesenheit von Information. Welches Signal auch immer die Realität uns sendet, wir können es nicht hören. Wir wissen nur, dass unsere Institutionen nicht imstande sind überhaupt irgendeine rezessive Idee zu hören, zu denken, zu lernen, zu kennen, zu verstehen oder zu lehren, das heißt Ideen, die den Machthabern schaden oder sie delegitimieren würden.

Diese massenhafte Hirnschädigung des öffentlichen Geistes findet seltsamerweise auch in Mundana statt, dessen Zar nicht weniger intolerant gegenüber aufrührerischen, ketzerischen und subversiven Fehlinformationen ist. Warum sollte der Zar zulassen, dass ein schwuler, atheistischer Zeitungsredakteur Gott, die Kirche und die gesamte königliche Familie verflucht? Wie bitte? Sind Mundana irgendwie die Gefängniszellen ausgegangen? Sind alle Peitschenmacher in irgendeinen, nun ja, Peitschenmacherstreik getreten? Bei Gott, er wird den Mann selbst schlagen!

Es ist leicht anzunehmen, dass Belohnung und Bestrafung unterschiedliche Dinge sind, doch das ist nicht der Fall.

Curtis Yarvin

Der Zar – dessen öffentliches Denken ein Kanon ist, kein Diskurs – erzielt fast genau die gleichen Ergebnisse wie die Kathedrale, und zwar mit genau entgegengesetzten Methoden. Der Zar bestraft die Abweichung vom kanonischen Denken. Die Kathedrale belohnt Konformität mit dem dominanten Denken.

Selbstverständlich sind Zuckerbrot und Peitsche zwei großartige Geschmacksrichtungen, die zusammen gut schmecken – aber bei beiden handelt es sich um Macht. Es ist leicht anzunehmen, dass Belohnung und Bestrafung unterschiedliche Dinge sind, doch das ist nicht der Fall; sie sind verschiedene Wege, um an dasselbe Ziel zu gelangen, nämlich menschliche Herrschaft.


Die Kathedrale kann nicht repariert werden

Die Kathedrale kann aus zwei Gründen nicht repariert werden. Der erste besteht in dem Umstand, dass sie nicht repariert werden kann – sehen Sie sie sich nur an. Der zweite ist, dass hierin nicht das Problem liegt.

Zurück zum See und den Abwässern. Wie kann man den See wieder in Ordnung bringen? Nicht, indem man die Algen abschöpft! Man muss natürlich das Leck in der Kanalisation stopfen und die Schweinefarm loswerden. Dann kann man entweder warten, bis sich der See von selbst reinigt, oder man kann das verschmutzte Wasser abpumpen und den klaren blauen Bergbach das Becken wieder auffüllen lassen. Ich empfehle … Letzteres.

In unserem Fall ist die Schweinefarm eine Regierungsform, die Macht abfließen lässt – die von Natur aus die Verantwortung an externe Akteure auslagern will. Wann immer sich die Regierung bei einer strategischen oder politischen Entscheidung auf universitäre Forschung stützt oder eine Entscheidung trifft, die von der Medienberichterstattung beeinflusst wird, oder selektiv Informationen an die Medien weitergibt, lässt dieses Kartell Souveränität an die Kathedrale abfließen. Die, weil sie außerhalb der Regierung steht, ungefähr so „demokratisch“ ist wie Dschingis Khan.

Warum lässt die Regierung – oder, genauer gesagt, der öffentliche Dienst – Macht abfließen? Weil sie eine Bürokratie ist. So eine Frage zu stellen, ist, als würde man fragen, warum ein Zweitaktmotor Öl verbrennt – oder zumindest warum ein Dieselmotor Ruß ausstößt.

In einer Bürokratie werden Entscheidungen auf allen Ebenen nicht von Einzelpersonen, sondern durch Vorgänge getroffen. Die gesamte Arbeit erfolgt gemäß eines Vorgangs. Manager in einer Bürokratie sind keine Chefs; sie sind Ausnahmebeauftragte.

Die Grundregel für den Erfolg eines Bürokraten besteht darin, dass es zwar wichtig ist, Anerkennung für Dinge zu bekommen, die gut laufen (jeder, der an dem Vorgang beteiligt ist, bekommt Anerkennung), doch es erweist sich als essenziell, Schuld für Dinge zu vermeiden, die falsch laufen. Glücklicherweise verbreitet und vervielfacht die vorgangsorientierte Entscheidungsfindung die Freude über den Erfolg, während sie den Kummer über das Scheitern zerstreut und abschwächt.

In einer Bürokratie werden Entscheidungen auf allen Ebenen nicht von Einzelpersonen, sondern durch Vorgänge getroffen.

Curtis Yarvin

Aber wenn er Rechenschaftspflicht und Verantwortung aus der Regierung selbst auslagern kann, hat der Bürokrat das Gefühl, als würde er diesen Giftmüll in den tiefen Ozean kippen. Oder in einen blauen Bergsee. Welcher Schweinezüchter will schon eine Lagune voller Gülle auf seinem Hof? Sogar die Schweine hassen den Geruch davon … Und deshalb lässt die mutopische Bürokratie Macht abfließen. Wie jede andere Bürokratie auch, es sei denn vielleicht, sie ist brandneu.

Und das ist der Grund dafür, warum sie sich nicht reparieren lässt. Eine Organisation, in der die Verantwortung nach oben verlagert wird, ohne dass etwas durchsickert, ist wie eine Armee oder ein Unternehmen aufgebaut. In dieser Organisationsform (die wir von fast allem kennen, was keine Regierung ist) handelt es sich bei Ihrem Vorgesetzten tatsächlich um Ihren Chef. Die endgültige Autorität und Verantwortung liegen bei einer Person.

Diese Regierungsform – jene Form, bei der die Macht nicht nach außen abfließt – hat einen Namen. Sie wird Monarchie genannt. Die derzeitige Regierungsform in Mutopia hat ebenfalls einen Namen. Es ist eine Bürokratie, wobei es sich um eine Form von Oligarchie handelt („Deep State“, wenn es unbedingt sein muss).

Der Unterschied zwischen unserer Regierung und einer Regierung, die „macht-dicht“ funktioniert, ist daher so fundamental wie nur möglich – nicht wie der Unterschied zwischen einer Ziege und einer Gazelle, sondern wie der Unterschied zwischen einer Gazelle und einem Pfifferling. Es gibt nicht wirklich eine, äh, Art von chirurgischem Eingriff, die eines der beiden Dinge in das jeweils andere verwandeln könnte.


Die Zukunft von Mu

Der Weg, wie in Mutopia Entscheidungen getroffen werden, ist also beschädigt – und kann nicht repariert werden. Die Regierung trifft Entscheidungen, die nicht nur willkürlich sind, sondern proaktiv pervers und selbstzerstörerisch, weil es sich bei dem Gehirn der Regierung um die Kathedrale handelt, die strukturell auf diese dominanten Ideen ausgerichtet ist, von denen es sich bei vielen, aber nicht allen, schlicht um schlechte Ideen handelt.

Kein Wunder, dass in Mutopia so ein heilloses Durcheinander herrscht. Doch auch Mundana befindet sich in einem heillosen Durcheinander. Die dortige Regierung, die ebenfalls nicht rechenschaftspflichtig ist, trifft ebenfalls perverse, zerstörerische Entscheidungen – weil der Zar senil wird. Auch seine Syphilis zeigt sich bereits …

Glücklicherweise haben sich die Dinge in Mu kurz nach der Aufzeichnung obiger Parabel total geändert. In beiden Ländern revoltierten die Bauern. Und wie bei (fast) keinem Bauernaufstand jemals zuvor ging die Sache auf wundersame Weise gut aus.


Was in Mundana geschah

Die Bauern revoltierten. Mit jener kollektiven Rationalität, die wir oft oder zumindest manchmal unter Bauern antreffen, erkannten sie folgende Tatsachen:

Erstens: Ihre Regierung war beschissen. Der Zar war unheimlich, inkompetent und sadistisch. Sein Sohn, der Zarewitsch, war ein Junkie, Gerüchten nach ein Pädophiler und weithin bekannter Bluter.

Zweitens: Es existierte eine verantwortliche Elite, die eine neue Regierungsform einsetzen konnte. Bei dieser neuen Form handelt es sich um eine „konstitutionelle“ Monarchie, in der der Monarch eigentlich ein Witz ist – ein ausgestopftes Hemd mit einer Krone oben drauf. Die wirkliche Macht gehört nun dem intellektuellen Untergrund, der die Verfolgung des Zaren überlebt hat.

Diese vernünftigen Bauern nutzten also die Macht der Demokratie – die unwiderstehlich, aber instabil ist –, um ihre alte Monarchie abzusetzen und eine neue Oligarchie zu errichten. Das ist die richtige Art, die Demokratie zu nutzen – eine politische Kraft, die nie ein Zweck, aber immer ein Mittel sein sollte.

Die neue herrschende Klasse besteht aus Menschen, die bereit waren, alles zu opfern, um sowohl ihren Verstand als auch ihre Würde zu bewahren.

Curtis Yarvin

Die wirkliche Macht im neuen Regime liegt beim neuen öffentlichen Dienst, der selbstverständlich von den Dissidenten, die gegen das alte Regime agierten, besetzt ist. Jeder Nachweis darüber, von der zaristischen Geheimpolizei verfolgt worden zu sein, gilt jetzt als Ehrung, die einen zu verschiedenen Auszeichnungen, Privilegien und Job-Möglichkeiten berechtigt. Hebt alle Zeitungsausschnitte der verleumderischen Artikel über euch auf, Dissidenten – eines Tages könnten sie zu euren Belegen werden.

Dieses neue Regierungssystem funktioniert außerordentlich gut, denn die neue herrschende Klasse ist aus einer außerordentlich guten Selektion hervorgegangen. Sie besteht aus Menschen, die bereit waren, alles zu opfern, um sowohl ihren Verstand als auch ihre Würde zu bewahren. Solche Menschem sind die besten Staatsmänner – und die Ideen der Dissidenten aus Mundana haben sich, wie wir wissen, allein entlang eines Selektionskriteriums entwickelt: der kalten Wahrheit.

Das neue, freie Mundana wird also von seinen unvoreingenommenen liberalen Intellektuellen geführt. Es sieht gut aus für Mundana! Und es wird noch besser werden – für eine Weile …


Was in Mutopia geschah

Die Bauern revoltierten. Mit jener kollektiven Rationalität, die wir oft oder zumindest manchmal unter Bauern antreffen, erkannten sie folgende Tatsachen:

Erstens: Ihre Regierung war beschissen. Sowohl die Kathedrale als auch der öffentliche Dienst waren zum Beispiel wahnsinnig besessen von der Rassenfrage – weil der Rassenkrieg eine dominante Idee ist. Die Kriminalität wuchs ins Unermessliche – weil das Tolerieren von Verbrechen eine dominante Idee ist. Und wenn der öffentliche Dienst tatsächlich ein echtes, unvorhergesehenes, bedeutendes Problem zu lösen hatte, erwies er sich als nahezu nutzlos. Und es gab auch eine Armee, die keinen Krieg gewinnen konnte, nicht einmal einen irrelevanten Krieg.

Und je weiter die Weltanschauung der Kathedrale von der Realität abwich, desto mehr Schwierigkeiten hatte Mutopia, diese Weltanschauung allein durch Zuckerbrote durchzusetzen. Schließlich wandte man sich einer anderen Art der Gedankenkontrolle zu und begann, fast schon mundanische Techniken der geistigen Bestrafung mit der Peitsche zu entwickeln. Es gab Zensoren, Denunzianten, das ganze Programm.

Zweitens: Es existierte eine verantwortliche Elite, die eine neue Regierungsform einsetzen konnte. Im sogenannten „privaten Sektor“ war die Kunst der Monarchie perfektioniert worden. Einige dieser Monarchien hatten sogar Belegschaften zusammengestellt, die so groß waren wie jede Regierung, die Mutopia hätte brauchen können, und über eine durchschnittliche menschliche Qualität (oder zumindest einem IQ) verfügte, die vielleicht nie zuvor erreicht worden war und die mit unerbittlicher Perfektion ihre Aufgaben erfüllten , um …

Die mit unerbittlicher Perfektion ihre Aufgaben erfüllten, um den Menschen Spielzeug, Fertigprodukte, Luxus, Lotterien und Unterhaltung, Pornos und Drogen sowie alles, was sich mit Geld in einer „Dienstleistungswirtschaft“ kaufen lässt, zu bieten. Aber natürlich nichts, was wirklich wichtig war. Lol.

Der neue Monarch hat sein Regime, einen Startup-Staat, mit Veteranen der Technologiekriege in Mutopia besetzt.

Curtis Yarvin

Diese vernünftigen Bauern nutzten also die Macht der Demokratie – die unwiderstehlich, aber instabil ist –, um ihre alte Oligarchie abzusetzen und eine neue Monarchie zu errichten. Das ist die richtige Art, die Demokratie zu nutzen – eine politische Kraft, die nie ein Zweck, aber immer ein Mittel sein sollte.

Der neue Monarch – ein Mann, der von allen als herausragender visionärer Führer des mutopischen „Privatsektors“ anerkannt wird, Herr über nicht nur ein, sondern gleich zwei bahnbrechende Unternehmen – hat sein neues Regime, einen Startup-Staat, mit Veteranen der Technologiekriege in Mutopia besetzt.

Diese Hardcore-Gangster von der Westküste wussten überhaupt nichts über das Führen einer Regierung – obwohl sie manchmal einen alten Recken aus dem öffentlichen Dienst als Auftragnehmer an der Front anheuerten, bloß für die Übergangshilfe. Kein gordischer Knoten hielt diese hitzköpfigen Punks jemals auf.

Die alte Oligarchie, die Kathedrale und der öffentliche Dienst, wurden einfach liquidiert – zusammengetrieben, erschossen, in einen Graben geworfen, mit Gas getränkt und verbrannt … Nein! Was rede ich da nur? Das war eine völlig andere Zeitachse. Ein schlimmer Traum. Sorry. Das wäre ein Megadämpfer. Bitte tun Sie das auf keinen Fall.

Die mutopischen Bürokraten gehörten natürlich zu den besten Mitarbeitern des Landes. Einige wurden sogar in neuen Einstiegspositionen wiedereingestellt. Der Rest erhielt eine großzügige Abfindung und wurde dabei unterstützt, neue, erfüllende Jobs zu finden, die ihren echten Talenten entsprachen. Wenn es sich um Professoren aus der Mathematik oder den Naturwissenschaften handelte, bekamen sie am Ende vielleicht sogar dieselben Stellen.

Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, Bürger oder selbst Regierungsbeamte für die Verbrechen ihrer Regime verantwortlich zu machen.

Curtis Yarvin

Eindeutig hat keiner von ihnen im Dienst des alten Regimes auch nur ansatzweise etwas Falsches getan. Normale Menschen waren Nazis in Nazideutschland und Stalinisten in der UdSSR. Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, Bürger oder selbst Regierungsbeamte für die Verbrechen ihrer Regime verantwortlich zu machen. Das ist nur eine dieser schlechten Ideen aus dem 20. Jahrhundert, die wir endlich vergessen sollten.

Innerhalb von Monaten oder zumindest Jahren war Mutopia ein sauberes, brummendes, glänzendes Paradies, in dem jeder nicht nur die Spielzeuge und Annehmlichkeiten hatte, die er verdiente, sondern auch tatsächlich sinnvolle und erfüllende Arbeit, die er verdiente. Und niemand – überhaupt niemand – war noch von Rassenfragen besessen.

Die Dankbarkeit der Bauern gegenüber ihrem neuen Monarchen – ebenfalls ein äußerst fruchtbarer Mann mit überzähligen Erben – lässt sich nicht in Worte fassen. Dieses neue, funktionierende Mutopia wird nicht von inkompetenten Zeitwächtern und Eierköpfen mit dem Kopf in den Wolken regiert, sondern von seinen fähigsten und visionärsten Machern – nicht nur unter der Führung eines neuen Königs, sondern unter einer neuen Dynastie, deren Familienauftrag es ist, Mutopia groß zu machen, und zwar nicht nur für Jahre, sondern für Jahrhunderte.

Es sieht gut aus für Mutopia! Und es wird noch besser werden – für eine Weile …


Δ Curtis Yarvin

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