ALIAS spricht mit der Autorin und Ex-Prostituierten Huschke Mau über ihre Argumente gegen legalen Sexkauf, die Vergewaltiger-Mentalität vieler Freier – und eine bürgerliche Schicht, die das Rotlichtmilieu benutzt, um sich als besonders frei zu inszenieren, den Preis der Prostitution aber nicht zahlen muss.
Mit 17 flüchtete Huschke Mau vor ihrem gewalttätigen Stiefvater und rutschte in die Prostitution. Drogen und Alkohol dämpften den täglichen Schmerz, machten die Hölle, die sie zehn Jahre durchlitt, auf Dauer aber nur dunkler.
In ihrem Buch „Entmenschlicht“ erzählt Mau von ihrem früheren Leben und fordert für Deutschland das Nordische Modell – eine Form des Prostitutionsverbots, die in Schweden entwickelt wurde, heute aber etwa auch in Frankreich, Irland, Kanada und Israel angewendet wird.
ALIAS: Huschke Mau, Sie schreiben über den dunkelsten Moment Ihrer Zeit als Prostituierte: „Obwohl mich ständig jemand anfasst, berührt mich niemand mehr.“ Prostitution gilt heute vielen als Sex-Arbeit. Das klingt, als handle es sich um einen ganz normalen Job. Haben Sie, wenn es Ihnen in Ihrem Arbeitsalltag so schrecklich ging, schlicht Ihren Beruf verfehlt?
Huschke Mau: Das hieße, dass der Schaden, den ich davon getragen habe, meine Schuld ist. Ich betrachte Prostitution aber nicht als Beruf, sondern als sexuelle Gewalt, denn es besteht hier kein Konsens. Es ist zynisch, Gewaltopfern vorzuhalten, sie hätten ihren Beruf verfehlt. In der Tat habe ich das aber auch schon gehört. Doch wie gesagt: Es besteht kein Konsens. In einer Studie der amerikanischen Psychologin Melissa Farley geben neun von zehn prostituierten Frauen an, dass sie aussteigen möchten und Prostitution für sie die letzte Option sei. Von Freiwilligkeit kann für die Mehrheit der Frauen in der Prostitution keine Rede sein.
ALIAS: Was bedeuten würde, dass Zwang das Leben fast aller Prostituierten bestimmt, auch derjenigen, die nicht Opfer von Menschenhändlern sind.
Huschke Mau: Das Wort „Beruf“ kommt von „Berufung“. Der Gedanke, es gäbe Frauen, deren Wunsch darin besteht, einen Mann nach dem anderen zu befriedigen, ohne dass es dabei um ihre eigene Lust geht – diesen Gedanken finde ich patriarchal. Dahinter steckt ein sexueller Mythos, der schädliche Klischees bedient.
ALIAS: Sie sagen aber nicht nur, dass zwischen Freiern und Prostituierten kein Konsens besteht, sondern auch, dass Prostitution immer Gewalt ist. Wie begründen Sie das?
Ein Freier ist ein Mann, der mit einer Frau schläft, von der er nie wissen kann, ob sie freiwillig handelt.
Huschke Mau
Huschke Mau: In der momentanen Diskussion versuchen die Medien ständig, jemanden zu finden, der seinen Körper freiwillig verkauft. Und die wenigen Menschen, die von den Redakteurinnen und Redakteuren dann aufgespürt werden, sitzen in den Talkshows. Wenn ich Prostitution als Gewalt definiere, öffne ich natürlich ein riesiges Feld von Fragen wie: „Was ist ein freier Wille?“, „Was wird durch die Umwelt und die Gegebenheiten bestimmt?“ oder „Was können Menschen in ihrem Leben selbst beeinflussen?“ Darüber ließe sich 100 Jahre diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu finden. Man kann das Ganze aber auch von einer anderen Seite betrachten – eben nicht aus der Perspektive der Frau, sondern aus der des Freiers.
ALIAS: Und die unterscheidet sich wie?
Huschke Mau: Ein Freier ist ein Mann, der mit einer Frau schläft, von der er nie wissen kann, ob sie freiwillig handelt. Denn es gibt keine Anzeichen für Zwangsprostitution, die immer und mit Gewissheit gegeben sind. Auch Zwangsprostituierte müssen, wenn sie Geld verdienen wollen, ihre Freier anlächeln und so tun, als würde ihnen der Sex gefallen. Das bedeutet, dass ein Freier jemand ist, der davon ausgehen muss, dass er mit einer Frau schläft, die zur Prostitution gezwungen wird – und dem das scheißegal ist. Das ist Vergewaltiger-Denke und Täterverhalten.
ALIAS: Jahrelang unfreiwillig mit fremden Menschen Sex haben zu müssen, ist eine psychische Belastung, die nur wenige nachempfinden können. Wie haben Sie Ihre Zeit als Prostituierte mental überlebt?
Huschke Mau: Es gibt verschiedene psychische Mechanismen, die dann greifen. Dissoziation spielt eine große Rolle – also eine Spaltung der eigenen Identität. Man gehört nicht mehr zu sich selbst und fühlt sich nicht länger wie die Person, der diese schrecklichen Dinge widerfahren. Studien belegen, dass dissoziatives Verhalten unter prostituierten Frauen absolut gängig ist.
ALIAS: Welche anderen Mechanismen gibt es?
Huschke Mau: Als Prostituierte schlüpft man auch ganz bewusst in eine andere Rolle. Ich habe mir zum Beispiel wie fast alle Frauen, die anschaffen, einen anderen Namen gegeben und Kleidung getragen, die ich sonst nicht angehabt hätte. So etwas hat den Effekt, dass man später zu sich selbst sagen kann: Das ist alles nicht mir passiert, sondern dieser anderen Person. Was außerdem hilft, ist sogenanntes maladaptives Tagträumen – sich in sich selbst zu verkriechen und eine Parallelwelt zu konstruieren. Und selbstverständlich: Alles, was dämpft. Rauchen, Drogen, Alkohol … So überlebt man irgendwie, schafft sich aber auf lange Sicht noch mehr Probleme. Und an dieser Stelle frage ich mich: Was soll das für eine Art von Sex sein, bei dem eine Person sich wegmachen muss, um ihn durchzustehen?
ALIAS: Aber könnte legalisierte Prostitution nicht auch ein Merkmal einer liberalen und progressiven Gesellschaft sein, für die Sex kein Tabuthema mehr ist?
Huschke Mau: Nein, denn der Sex, der im Bordell stattfindet, ist der spießigste, den ich kenne. Der Mann sagt, was zu passieren hat, und die Frau erfüllt seine Wünsche – ob sie nun Lust dabei empfindet oder nicht. Rückschrittlicher geht es nicht.
ALIAS: Wenn man Ihrer Argumentation bis hierhin folgt, könnte man sagen: Wir erlassen ein Gesetz, das Prostitution so verbietet, wie auch Diebstahl verboten ist. Warum setzen Sie sich stattdessen für das Nordische Modell ein, das die Freier, aber nicht die Prostituierten kriminalisiert?
Huschke Mau: Prostitution einfach nur zu verbieten, wäre so schlau, wie Armut zu verbieten. Die Hierarchien in der Prostitution sind klar: Der Freier übt die ökonomische und sexuelle Macht aus. Damit liegt auch die Verantwortung bei ihm. Die prostituierte Frau hat häufig gar nicht die Möglichkeit, die Forderungen des Freiers abzulehnen, denn sie steckt meist in einer ökonomischen Zwangslage, hat einen gewalttätigen Zuhälter oder ist traumatisiert und steht unter Druck. Der Freier muss aber nicht in den Puff gehen. Ihm fällt nicht der Schwanz ab, wenn er zuhause bleibt. Ganz ehrlich: Er könnte sich auch einfach einen runterholen oder sich ein bisschen Mühe geben und irgendwo eine Frau kennen lernen. Es ist richtig, die Freier und nicht die Frauen zu bestrafen, weil man auch in anderen Situationen nicht die Menschen bestraft, die ausgebeutet werden, sondern die Ausbeuter.
Es gab auch schon immer Männer, die an Prostatakrebs gestorben sind. Trotzdem haben wir als Gesellschaft beschlossen, etwas gegen Prostatakrebs zu unternehmen.
Huschke Mau
ALIAS: Das Nordische Modell umfasst aber noch weitere Säulen, oder?
Huschke Mau: Ja, Teil des Nordischen Modells sind unter anderem auch staatlich garantierte Ausstiegshilfen. Dabei geht es darum, dass die Gesellschaft sich mit den ausgebeuteten Frauen solidarisiert und sie nicht auch noch beschämt. Aufklärung – zum Beispiel im Schulunterricht – ist eine weitere Säule. Wenn eine Gesellschaft Prostitution als Gewalt begreift, verschiebt sich das Stigma. In Deutschland sieht das leider noch ganz anders aus. Ich erinnere nur an Michel Friedman, der sich ukrainische Zwangsprostituierte gekauft hat. Viel skandalöser als dieses moralische Verbrechen wurde damals der Umstand angesehen, dass Friedman auch Kokain konsumiert hatte. Das ist verrückt.
ALIAS: Ein beliebtes Argument gegen das Nordische Modell gründet auf der Annahme, es käme zu mehr Vergewaltigungen, wenn Männer sich keinen Sex mehr kaufen können …
Huschke Mau: … Was ich von allen Argumenten für das schlimmste halte. Denn was für ein Männerbild steckt dahinter? Ich glaube nicht, dass Männer jemanden vergewaltigen müssen, wenn sie zuhause nicht ran dürfen. Aber selbst wenn das so wäre: Ist es nicht abartig, Männern dann eine Schicht von Frauen zur Verfügung zu stellen, die in Notlagen sind, und an denen sich ausgetobt werden darf? Außerdem verhält es sich ganz im Gegenteil so, dass dort, wo Prostitution legal ist, mehr Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird als in Ländern, die das Nordische Modell umgesetzt haben.
ALIAS: Woran liegt das?
Huschke Mau: Beim Sex mit Prostituierten lassen sich Hemmungen abbauen. Die erste abgebaute Hemmschwelle besteht darin, mit Frauen Sex zu haben, von denen man weiß, dass sie das eigentlich nicht wollen. Diese Hemmschwelle ist für das Zusammenleben beider Geschlechter aber erheblich. Der Weg zur Vergewaltigung wird durch Prostitution kürzer. Ins Bordell zu gehen kann einem Suchtverhalten ähneln – die Wünsche der Freier werden immer heftiger. Übrigens: Die Triebabfuhrtheorie, die sich hinter dem Argument verbirgt, von dem Sie eben gesprochen haben, ist längst widerlegt. Im Gegenteil verstärkt zum Beispiel das permanente Konsumieren bestimmter Pornografie das sexuelle Begehren erst recht. Man konditioniert sich selbst darauf, nur noch von bestimmten Bildern erregt zu werden – und das reicht irgendwann nicht mehr aus. Deshalb überrascht es mich auch nicht, dass Sexualstraftäter überdurchschnittlich oft Freier sind. In einer Studie der UN über gewalttätige Männer hat sich gezeigt, dass regelmäßig Prostitution zu nutzen die zweitgrößte Gemeinsamkeit aller Männer ist, die wegen Vergewaltigung verurteilt werden.
ALIAS: Ein anderes beliebtes Argument gegen ein Verbot des Sexkaufs lautet: Prostitution gab es schon immer, sie ist eine menschliche Konstante.
Huschke Mau: Erstens gab es Prostitution nicht schon immer. Das älteste Gewerbe der Welt üben die Hebammen aus. Zweitens, selbst wenn dem so wäre: Es gab auch schon immer Männer, die an Prostatakrebs gestorben sind. Trotzdem haben wir als Gesellschaft beschlossen, etwas gegen Prostatakrebs zu unternehmen.
ALIAS: Drittes Argument – wer Prostitution illegal macht, treibt die Frauen in den Untergrund, wo ihnen erst recht Gewalt droht, weil sie vom Radar der Behörden verschwinden.
Huschke Mau: Aber ist bürokratisierte Gewalt besser? Ich frage immer alle, die solche Argumente bringen, nach Belegen für ihre Behauptungen. Aber da kommt dann nichts. Ich würde gern wissen, wo dieser Untergrund sein soll.
ALIAS: Ich denke, den meisten schwebt so etwas wie ein Zuhälter aus dem Rockermilieu vor, der einen fiesen Pitbull an der Leine hat. Menschenschinder, die ihre Prostituierten nicht anmelden müssen und deshalb mit Ihnen tun und lassen können, was sie wollen.
Huschke Mau: Aber diese Typen gibt es doch jetzt auch. Der Staat liefert den Zuhältern zurzeit alles, was sie brauchen, um ungestört Frauen ausbeuten zu können. Die Vorstellung von einem Prostitutions-Untergrund ist ein Mythos. In Deutschland fahren die Zuhälter ihre Prostituierten jetzt halt zu den vorgeschriebenen Gesundheitsuntersuchungen. Ich brauche nur wenige Sekunden, um Ihnen übers Internet eine Prostituierte zu finden, die in Stockholm, wo das Nordische Modell existiert, anschaffen geht. Von einem Untergrund kann weder hier noch dort die Rede sein. Fakt ist, dass es in Ländern, in denen das Nordische Modell eingeführt wurde, weniger Freier gibt – und dadurch weniger Prostituierte und weniger Menschenhandel. In Deutschland hat die Polizei dagegen kaum noch eine Handhabe, denn sie darf zum Beispiel nicht auf einen Anfangsverdacht hin in einem Bordell auftauchen und Nachforschungen anstellen. Und das obwohl die Polizisten genau wissen, was dort vor sich geht.
ALIAS: Befürworter legaler Prostitution führen an, sie wollen die sogenannte Sex-Arbeit aus der Schmuddelecke holen und damit ans desinfizierende Licht zerren. Vielleicht ließen sich die schlimmsten Auswüchse dann gesetzlich verhindern?
Huschke Mau: Prostitution ist Gewalt, denn es handelt sich um Sex ohne Konsens. Dafür gibt es ein Wort: sexueller Missbrauch. Und Missbrauch wird nicht schöner, wenn man ihn ans Licht zerrt und in geordnete Bahnen lenkt. Ein Staat, der das tut, bürokratisiert sexuelle Gewalt, macht sich mitschuldig und verdient über Steuern auch noch daran.
ALIAS: Steckt hinter dem Anliegen, Prostitution zu normalisieren, nicht auch eine größere gesellschaftliche Entwicklung? Das Wort „Pimpen“, das sich vom englischen Wort „Pimp“ für „Zuhälter“ ableitet, hat es mittlerweile als positiv konnotierter Begriff in den Duden geschafft. Auch freiwilliger Sex wird zusehends banalisiert. Auf Plakaten in deutschen Städten legt ein Dating-Portal einer jungen Frau den Satz „Ich trage ja auch nicht jeden Tag dieselben Schuhe“ in den Mund …
Huschke Mau: Diese Entwicklung hat auch etwas mit extremem Pornokonsum zu tun, der mittlerweile ein großes Problem ist. Ich habe gemerkt, dass Freier die extrem oft Pornos gucken, sehr schlecht im Bett waren.
ALIAS: Wie erklären Sie sich das?
Huschke Mau: Beim Konsum von Pornos konzentriert man sich darauf, zum Orgasmus zu kommen. Und das erreicht man, indem der Fokus auf die Praktiken und nicht auf die andere Person gelegt wird. Dadurch verliert man die Fähigkeit, sich in das Gegenüber einzufühlen. Das ist aber genau der Punkt, der guten Sex ausmacht – das Miteinander. Drüber zu rutschen und den eigenen Fetisch durchzuziehen, führt unweigerlich zu schlechtem Sex. Das unterscheidet auch Prostitution von echtem Sex. Sich eine Frau zu kaufen, hat nichts mit gemeinsam gewollter Intimität zu tun, sondern ist ein sexueller Übergriff.
In Ländern, in denen das Nordische Modell eingeführt wurde, gibt es weniger Freier – und dadurch weniger Menschenhandel.
Huschke Mau
ALIAS: Beim Lesen Ihres Buchs habe ich mich gefragt, warum es gerade im bürgerlichen Milieu heute schick ist, Prostitution zu befürworten. Man schmückt sich da, scheint mir, mit einer Luxus-Überzeugung. In progressiven Kreisen kann diese Überzeugung einen Statusgewinn bedeuten, ihre Konsequenzen tragen aber andere – und zwar meist weniger begüterte Menschen. Es ist eben nicht die eigene Tochter, die anschaffen geht.
Huschke Mau: Das erinnert mich an einen Zeitungsredakteur, der vor kurzem einen Bildband über Bordelle herausgebracht hat – mit den typischen Bildern, schummriges Licht und so weiter. Das Fazit des Buchs war: Kuck an, das sind ja normale Menschen im Puff. Bestimmt war das total aufregend für den Redakteur und vielleicht hat er sogar einen Zuhälter gesehen – sein Sonntags-Krimi! Er hat sich bestimmt als totaler Rebell gefühlt. Nur: Der Redakteur muss das, was im Bordell passiert, nicht ausbaden. Das hat mich so aufgeregt, weil dieser Mann die Frauen im Puff für sein Selbstbild hernimmt und sie benutzt, um sich als besonders freien und progressiven Mensch zu inszenieren. Dabei gibt es nichts Spießigeres als bürgerliche Männer, die ins Bordell gehen.
ALIAS: Sie sehen die Abschaffung legaler Prostitution als feministisches und linkes Anliegen. Warum?
Huschke Mau: Das Nordische Modell ist ein progressives Projekt. Es waren Feministinnen und Linke, die das Nordische Modell in Schweden eingebracht haben. Bis heute ist es dort so, dass die einzigen, die dagegen sind, aus dem extrem rechten Lager kommen. Der ursprüngliche Kern linker Ideologien ist Menschlichkeit. Und als das Nordische Modell entwickelt wurde, handelte der schwedische Staat links, weil er gesagt hat: Wir gehen jetzt zu den Menschen – in diesem Fall den Frauen – und fragen, wie es denen geht.
ALIAS: Und damit auch zur schwächeren Seite …
Huschke Mau: Genau. Wobei die Grundsteine dieses Projekts durch Studien schon in den Siebzigerjahren gelegt wurden, als das Stigma, mit dem Prostituierte belegt wurden, noch viel schwerer wog. Das war damals ein revolutionärer Akt. Wer meint, dass durch das Nordische Modell die Selbstbestimmtheit von Frauen untergraben wird, hat nicht verstanden, wer kriminalisiert wird – nämlich die Männer. Und es sind schließlich Männer, die in den kapitalistischen Hierarchien der Prostitution die Machtpositionen besetzen. Linke, die das nicht begreifen und Befürworter des Nordischen Modells als Rechte verunglimpfen, sind in meinen Augen vollkommen falsch abgebogen. Wer Prostitution als Empowerment begreift, ändert nichts an den Machtverhältnissen, sondern streut nur ein bisschen Glitzer drauf. Das ist ein Weg, nicht handeln zu müssen und nicht gegen echte Ungerechtigkeit anzugehen.
ALIAS: Was viele Linke seltsamerweise auch nicht zu irritieren scheint, ist der Umstand, dass in der Prostitution noch das Intimste menschlicher Beziehungen kapitalistischen Zwängen unterworfen wird.
Huschke Mau: Sexualität sollte etwas sein, das dem Menschen ganz allein gehört und über das er auch ganz allein entscheidet – und nicht der Markt.
ALIAS: Den kapitalistischen Druck, den die Legalisierung erhöht hat, konnte man gut beobachten, als Flatrate-Bordelle entstanden, in denen Freier für einen Pauschalpreis an einem Abend so viel Sex mit so vielen Frauen haben konnten, wie sie wollten.
Huschke Mau: So etwas ist menschenverachtend. Es fallen alle Grenzen weg. In meinem Buch bringe ich das Beispiel der Schweiz, wo es eine Zeit lange legal war, sich 16-jährige Mädchen zu kaufen.
Wer Prostitution als Empowerment begreift, ändert nichts an den Machtverhältnissen.
Huschke Mau
ALIAS: Gab es eigentlich einen Aha-Moment, bei dem Sie in aller Klarheit gemerkt haben, in was für einem Umfeld Sie als Prostituierte gelandet sind?
Huschke Mau: Ja. Der Betreiber des zweiten Wohnungsbordells, in dem ich angeschafft habe, war in die organisierte Kriminalität involviert. Mitte der Neunzigerjahre haben die Zuhälter in Ostdeutschland die lokalen Rotlichtmilieus unter sich aufgeteilt. Dabei kam es auch zu Schießereien und Toten. Schon am zweiten Tag erfuhr ich, dass dieser Bordellbetreiber mit einem Mörder befreundet war. Mir ist in dem Moment aufgegangen, in welcher Situation ich mich eigentlich befand. Ich war von meinen alten Freunden und Bekannten isoliert, niemand wusste wirklich, wo ich war, und ich hatte täglich mit Kriminellen zu tun. Ich dachte: Du bist beim absoluten Abschaum gelandet und kommst hier nie wieder raus.
ALIAS: Ich nehme an, Ihr Männerbild ist kein gutes mehr?
Huschke Mau: Es ist realistischer geworden. Ich habe kein schlechtes Bild von Männern, aber ich musste sehen, dass einige Männer sehr viel Übergriffiges und Schlechtes tun.
ALIAS: Misstrauen Sie Männern, die Sie neu kennen lernen?
Huschke Mau: Auf jeden Fall, aber das Problem ist nicht mein Männerbild, sondern die Realität. Es verhält sich ja auch nicht so, dass ich keine Freier mehr treffen würde. Ich begegne ihnen noch immer, weiß aber nicht, dass es welche sind. Seit meinem Ausstieg wurden die Männer in Deutschland schließlich nicht ausgetauscht. Um mich selber zu schützen, rechne ich immer damit, dass der Mann, mit dem ich es gerade zu tun habe, auch ein Freier sein könnte. Wenn man einmal hinter den Vorhang geguckt hat, ist es unmöglich, das Gesehene wieder aus dem Kopf zu bekommen. Ich beneide Frauen, die das, was mir geschehen ist, nie erleben mussten. Ich meine nicht nur reine Gewalt. Freier haben mir auch Sachen gesagt wie: „Oh schön, du bist genauso alt wie meine Tochter.“
ALIAS: Sie schreiben davon, dass im Laufe der Jahre immer mehr Tabus gebrochen wurden.
Huschke Mau: Ich denke da zum Beispiel an die Betreiberin des ersten Wohnungsbordells, in dem ich gearbeitet habe. Diese Frau war früher selbst anschaffen und hat uns gesagt: „Nichts von dem, was ihr hier heute machen müsst, war früher Standard.“ Küssen oder Geschlechtsverkehr ohne Kondom ging gar nicht. Sogar das Ausziehen soll extra gekostet haben. Heute wird in Bordellen gewürgt, ins Gesicht gespuckt, beschimpft und geschlagen – oft ohne vorherige Absprache. Es gibt auch Bordelle, in denen neben dem Bett Plastikeimer stehen, weil Freier sogenanntes Throat-Fucking machen wollen, bis die Frau sich übergeben muss. Für mich ist das der Weg in die Hölle – da wird nichts zivilisierter oder schöner.
Huschke Maus Buch „Entmenschlicht: Warum wir Prostitution abschaffen müssen“ ist bei Edel Books erschienen (432 S., 19,95 €).