Möge die Macht mit mir sein

Aus unseren identitätszentrierten Zeiten ist der Begriff „Selbstermächtigung“ kaum wegzudenken. Seine Imperative sind durch und durch konformistisch.

von Nico Hoppe

Selbstermächtigung (oder im Englischen: „Empowerment“) ist das Gebot der Stunde – nicht nur in linken Kreisen und an den Universitäten, sondern auch in der durchgecoachten Arbeitswelt, im persönlichen Psychotraining für mehr Resilienz sowie im identitätspolitisch getrimmten Teil der sozialen Medien. Fast überall verspricht diese schillernde Vokabel einen unabhängigen Edel-Charakter, der sich von nichts erschüttern lässt.

In der Postmoderne muss der selbstermächtigende Weg dabei über die zum höchsten Schatz gerühmte Identität verlaufen: Selbstermächtigung bedeutet zugleich Selbstbehauptung mit jeder Faser. Alles dreht sich um die Errettung der erst einmal als unterlegen und geschwächt gedachten Identität des Einzelnen.

Fast überall verspricht „Empowerment“ einen unabhängigen Edel-Charakter, der sich von nichts erschüttern lässt.

Zahllose Ratgeber zum Thema „Empowerment“ schlagen verschiedene Techniken vor, mit denen Stärke und Autarkie quasi warenförmig zu erlangen seien. In eher linksliberal-progressiven Kreisen „empowert“ man währenddessen jene Phänomene im Namen von Inklusion und Teilhabe, die gemeinhin als Defizite gelten (Fettleibigkeit, Hässlichkeit, körperliche oder geistige Behinderungen). So lassen sich Mangelerscheinungen ganz im Geiste positiver Psychologie zu Ausweisen von Besonderheit, Einzigartigkeit oder gar Überlegenheit ummünzen. Wahlweise entdecken digitale Vielfaltsadvokaten selbstermächtigendes Potenzial auch in der Umdeutung des islamischen Kopftuchs zum Zeichen von Würde und Selbstbestimmung, während der Queer-Feminismus Selbstbestimmung für einen Sprechakt zu halten scheint, mit dem man Geschlecht und Sexualität wechseln kann wie ein Kleidungsstück.

Selbstermächtigung entpuppt sich so als Autosuggestion, als Erhebung über die Wirklichkeit. Aus der unbewussten Ahnung um diesen Trick entspringt der Furor, der sich immer dann Bahn bricht, wenn andere Personen auf die eigene identitätspolitische Deklarierung nicht mit Verzückung reagieren.


Konformismus und Souveränität

All diese Vorstellungen sind dabei, sich weit über die Grenzen identitätspolitischer „Communitys“ auszubreiten. Man kann dies als Zeichen für eine Sehnsucht nach persönlicher Souveränität deuten, die in die Schwierigkeiten, die sie vergeblich angreift, tiefer hineinführt. Gleichzeitig hat die neue Ideologie ihren Wahrheitskern in der zaghaften Erfahrung zusehends unmöglicher oder angesichts gesellschaftlicher Fremdbestimmung zumindest schwer zu erreichender Autonomie. Die Möglichkeiten, solche Zustände zu kritisieren, sind dennoch verstellt. Denn der durch „Empowerment“ besser angepasste, eigenverantwortliche Einzelne weiß das, was er für seine unverwechselbare Persönlichkeit hält, mit identitätspolitischer Noblesse aufzuladen. Wo jeder Gedanke an allgemeine Emanzipation ausradiert ist, bleibt nur die schale Utopie der schrankenlosen Selbstverwirklichung – auch wenn letzteres in Wirklichkeit gar nicht ohne ersteres zu haben ist.

Den Nerv der Zeit treffen diese Ideen, weil sie materielle Fragen kaum berühren und individuelle Probleme sowie gesellschaftliche Konflikte als Niederschlag von falschen Einstellungen, fehlgeschlagener Kommunikation und mangelnder Toleranz begreifen. Es gibt demzufolge nichts, was Coaches und Mediatoren nicht lösen könnten. Dass etwas an gesellschaftlichen Verhältnissen selbst faul sein könnte, wäre ein Einfall, für den in der Vorstellungswelt der Selbstermächtigung kein Platz ist.

Scheinautonome Selbstbehauptungen führen ausschließlich dazu, mit einem besseren Gefühl das zu tun, was sowieso von einem verlangt wird.

Mitunter wird angemerkt, dass die ursprüngliche pädagogische Idee des „Empowerments“ nicht grundsätzlich auf dieser systemoptimierenden Apologie der Ich-AG beruhte. Doch dieser Versuch der Reinwaschung ist zum Scheitern verurteilt, weil nicht einmal die Frage aufkommt, warum es gerade die menschenfreundlich-reformerischen Konzepte der Linken nach 68 sind, die sich immer wieder in ihr Gegenteil verkehren. Es scheint so, als wäre das, was man sich einst als Taktik dafür erdachte, die Verhältnisse zu lockern, bloß ein Mittel dafür, die Menschen zu bevollmächtigen, sich in die Zumutungen der Zukunft flexibler und selbstverwalteter einzugewöhnen. Das linksliberale Idealbild von lauter losgelassenen Ermächtigten, die – ausgerüstet mit einer Aufsteiger-Heroik – ihr Ding konsequent durchziehen, erweist sich nicht zufällig als perfekte Ergänzung zur staatlichen Auslagerung sozialpolitischer Aufgaben, die nun das Individuum zu übernehmen hat. Der Einzelne soll sein Isoliertheit fortan als Ressource auffassen.


Was Autonomie wirklich sein könnte

Scheinautonome Selbstbehauptungen führen ausschließlich dazu, mit einem besseren Gefühl das zu tun, was sowieso von einem verlangt wird: Selbstermächtigung ist ein Garant für Nachgiebigkeit, nicht für Widerstands- und Kritikfähigkeit. Es verwundert nicht, dass heute ausgerechnet das Klischee des abgeklärten, smarten Entrepreneurs zum Sinnbild von Autonomie erklärt wurde, während man tatsächliche Regungen von Autonomie einzig als absonderliche Kapriolen und weltfremde Marotten beurteilt.

Autonomie, die ihre eigenen Grenzen nicht kennt, kann es nicht geben: Ihrem wirklichen Gehalt ist nur treu zu bleiben, indem man ihn als nicht vollständig einlösbar erkennt. „Empowerment“ setzt stattdessen die vernagelte Identität als Prinzip und führt den Einzelnen einem resignativen Zustand zu, in dem es letztendlich bloß die geistlose Einheit mit sich selbst, das Gefängnis der eigenen Identität, auszukosten gibt. Kritisches, nicht angepasstes und damit auf Veränderung und Glück zielendes Denken hat seinen Platz als Urbild von Autonomie jedoch da, wo man seiner starrsinnigen Identität entrinnt. Oder, um es mit den Worten Theodor W. Adornos zu sagen: „Was bloß identisch ist mit sich, ist ohne Glück.“


Δ Nico Hoppe

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