„Berlin muss die Entscheidung zum Entzug selbst treffen“

Unsere Hauptstadt ist arm, aber sexy – und abgefuckt. Thomas Schmidt dokumentiert auf seiner Instagram-Seite berlin.shithole.city einiges von dem, was Berlin unerträglich macht.

ALIAS: Tobias Teubner, Marketingleiter von Berliner Pilsner, sagt über Pranke, die neue höherprozentige Biersorte seiner Firma: „Sie ist unsere bärenstarke Antwort auf den Trend zu Bieren mit leicht erhöhtem Alkoholgehalt, die in unserem Heimatmarkt Berlin handelsseitig zuletzt um 18 Prozent zulegen konnten, entgegen dem rückläufigen Markttrend.“ Kann man sich Berlin eigentlich nur noch schön saufen?
Thomas Schmidt: Wenn man sich die Menge an leeren Bierflaschen und Erbrochenem auf den Straßen, die Schnapsleichen oder die bei schönem Wetter in Parks an jedem Wochenende stattfindenden Schlägereien ansieht, dann scheint das ein guter Teil der Berliner bereits zu tun. 

ALIAS: Auf Ihrer Instagram-Seite berlin.shithole.city bieten Sie Impressionen des gesellschaftlichen Verfalls, der sich in Berlin alltäglich begutachten lässt. Was hat Sie motiviert, diese Seite zu betreiben?
Schmidt: Ich stamme aus Süddeutschland und musste aus beruflichen Gründen von München nach Berlin ziehen. Dort angekommen, war ich auf vielen Ebenen entsetzt über den Zustand der Stadt: vermüllte Straßen, abgebrannte Autos, eine dysfunktionale Verwaltung, offener Drogenhandel ohne jegliche Strafverfolgung, heruntergekommene Schulen … An all den genannten Punkten scheint sich aber weder der Berliner Senat noch ein Großteil der Berliner Bevölkerung zu stören. Meinen Freunden aus dem Süden fiel auch auf, wie häufig ich über meine Erlebnisse in dieser Stadt klagte. Teilweise hielten sie meine Schilderungen für übertrieben. Also entschloss ich mich, den Status quo zu dokumentieren.    

Relax and enjoy your slum experience. (Foto: Berlin Shithole City)


ALIAS: Sie zeigen auf Ihrer Seite ein Verbotsschild, das Passanten daran erinnert, nicht auf die Straße zu kacken. Solche Schilder kenne ich aus Indien, das ich liebe, aber um seine sanitäre Notlage nicht beneide.
Schmidt: In manchen Teilen Berlins fragt man sich tatsächlich, ob man sich noch in der Hauptstadt einer westeuropäischen Industrienation befindet.

ALIAS: Wie erklären Sie sich das, was Sie auf Ihrer Seite festhalten?
Schmidt: Wer in Berlin aufgewachsen ist und die Stadt nie länger verlassen hat, denkt vielleicht, dass es in jeder Großstadt so aussieht, und stört sich daran nicht weiter. Berlin zieht durch seine geographische Lage auch viele osteuropäische Armutsmigranten an. Und nicht zuletzt ist es ein Hotspot für Lebenskünstler, Berufsdemonstranten und selbstdeklarierte Kreative, für die eine Stadt voller Graffiti und mit jederzeit verfügbaren Drogen ihr Lebensgefühl darstellt.

ALIAS: Ist Berlin noch zu retten?
Schmidt: Ja, indem man den Länderfinanzausgleich einstellt und gleichzeitig für Berliner Schulklassen Fahrten in funktionierende Großstädte auf den Lehrplan setzt. Spaß beiseite: Berlin als Ganzes wirkt auf mich wie ein Drogensüchtiger. Man kann ihm Hilfsangebote machen, aber die Entscheidung zum Entzug muss er selbst treffen. Der Berliner muss anfangen, seinen Müll zu entsorgen, und er muss erkennen, dass der Zustand Berlins auch das Ergebnis einer Politik ist, die zu wenig Wert auf innere Sicherheit legt und stattdessen Träumereien wie Enteignungen oder den Mietendeckel durchsetzen möchte.  

ALIAS: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund geht von mindestens einer halben Milliarde Euro aus, die jährlich für die Beseitigung von Graffiti an Gebäuden aufgewendet werden muss – in ganz Deutschland. Solche überregionalen Zahlen deuten doch eher auf ein gesellschaftliches Problem hin, das nicht allein Vandalismus-Brennpunkte wie Berlin betrifft, oder? Ist die Hauptstadt vielleicht nur Vorreiter und gewährt uns einen Blick in die Zukunft Münchens?
Schmidt: Ich denke, an Berlin sieht man sehr gut, dass die Broken-Windows-Theorie stimmt: Wenn man die Verschmutzung des öffentlichen Raums zum Beispiel durch Sperrmüll oder Graffiti toleriert, sinkt die Hemmschwelle, weitere solche Taten zu begehen. Die Münchner Verkehrsbetriebe achten penibel darauf, dass jegliche Beschädigung an ihren U-Bahnen sofort beseitigt wird. Im Ergebnis sind selbst 30 Jahre alte U-Bahnen in München – von der Oktoberfestzeit vielleicht mal abgesehen – sauber, sicher und gepflegt.

ALIAS: Beim Graffiti auf Bahnen ist Berlin ebenfalls Spitzenreiter. Nicht nur bezüglich der Kosten und massiven Zugausfälle, sondern auch in puncto Gewalt: Sprayer greifen Bahnmitarbeiter an und bedrohen Fahrgäste, die etwas dagegen haben, dass Züge besprüht werden, die in der Station halten …
Schmidt: München hat übrigens auch konsequentere und deutlich besser ausgestattete Polizisten im Einsatz. Zudem ist die Rechtsprechung eine andere. Das funktioniert allerdings auch nur, wenn die städtische Politik dahinter steht, was in Berlin nicht der Fall ist. Ich erinnere an das Antidiskriminierungsgesetz, das es so nur in Berlin gibt.

Berlin: Eine Stadt wird bunt. (Foto: Berlin Shithole City)


ALIAS: Das Antidiskriminierungsgesetz soll Klagen etwa gegen Polizisten oder Fahrkartenkontrolleure erleichtern. Kritiker werfen der Berliner Regierung vor, mit dem Gesetz eine Beweislastumkehr eingeführt zu haben. Es obliege nun den Behörden nachzuweisen, dass durchgeführten Maßnahmen keine Diskriminierung zugrunde lag. Was ist daran verwerflich?
Schmidt: Für einen funktionierenden Rechtsstaat brauche ich eine funktionierende Exekutive. Das Landesantidiskriminierungsgesetz, kurz: LADG, schützt „vor Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung, einer antisemitischen Zuschreibung …“ Damit ist es inhaltsgleich mit Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes und mithin überflüssig. Der von Berlin gesetzte Fokus auf Diskriminierung sorgt aber dafür, dass Behörden und Gerichte stark belastet werden. Jeder Tatverdächtige, der zu einer der genannten Minderheiten gehört, kann zunächst einfach behaupten, dass eine polizeiliche Maßnahme gegen ihn nur erfolgt ist, weil er Teil einer Minderheit ist.

ALIAS: Und wo sehen Sie hier das Problem?
Schmidt: Das muss eben alles behördlich überprüft werden, bindet Arbeitskraft und Steuergelder. Zudem drückt das LADG ein grundsätzliches Misstrauen des Senats gegenüber der Polizei aus, mit entsprechend schlechter Außenwirkung für beide Parteien. Die Arbeitsbedingungen der Berliner Polizei sind aufgrund der teilweise archaischen Ausstattung und der im Bundesvergleich unterdurchschnittlichen Bezahlung ohnehin nicht die besten. Das LADG ist ein weiterer Knüppel, der zwischen die Beine der Beamten geworfen wird. Es ist nun einmal nachgewiesen, und das findet sich jedes Jahr in der polizeilichen Kriminalstatistik, dass gewisse Delikte überproportional häufig von Angehörigen bestimmter Minderheiten verübt werden. In 15 Bundesländern kann sich ein Polizist diesbezüglich zum Beispiel bei der Schleierfahndung auf seine langjährige Erfahrung verlassen. Nur in Berlin muss er sich dafür rechtfertigen.

ALIAS: Mit dem Rechtfertigen scheint es der durchschnittliche Berliner dagegen nicht so zu haben. Das Kaputte und Asoziale seiner Stadt nimmt er hin, viele brüsten sich geradezu damit.  Wie erklären Sie sich diesen Barbarenstolz?
Schmidt: Berlin ist bekannt dafür, dass man dort gut die Sau rauslassen kann. Entsprechend benehmen sich die Menschen dann auch. Ich habe selbst einige Berliner kennengelernt, die vergleichsweise saubere Städte wie München für zu spießig oder langweilig halten. Das ist dann meist derselbe Menschenschlag, der einem nachts um drei bei der freundlichen Bitte um etwas Ruhe im Mietshaus sagt: „Wenn‘s dir hier nicht passt, hau ab aus Berlin!“

Forscher warnen vor Wüstenbildung in Kreuzberg. (Foto: Berlin Shithole City)


ALIAS: Als ich noch in Berlin gelebt habe, fiel mir auf, wie oft Menschen bloß betreten weggeguckt haben, wenn neben ihnen Straftaten verübt wurden – keineswegs nur im Fall von offenem Drogenhandel oder Vandalismus, sondern auch bei Gewalt gegen Menschen. Ist Berlin die feigste Stadt Deutschlands?
Schmidt: Berlin ist die unsicherste Stadt Deutschlands. Nicht jeder traut sich, Zivilcourage zu zeigen, erst recht nicht gegen teils mit Messern bewaffnete Gruppen von Angreifern. Ich wurde auch schon attackiert. Man muss als Einwohner begreifen, dass Berlin kapituliert hat, die öffentliche Sicherheit nicht überall gegeben ist und gewisse Orte zu meiden sind. Vom Kottbusser Tor, der Warschauer Brücke oder dem Görlitzer Park hält man Abstand, zumindest bei Dunkelheit oder als Frau.   

ALIAS: Ein wenig klingen Sie jetzt nach einem Law-and-Order-Hardliner, der sich die gestriegelten Fünfzigerjahre zurückwünscht …
Schmidt: Es ist ja nicht so, dass man in ganz Berlin grundsätzlich nur mit Begleitschutz vor die Tür kann. Man muss eben besonders an den Kriminalitäts-Hotspots vorsichtiger sein, zum Beispiel die Wertsachen eng am Körper tragen und sich nicht in Gespräche verwickeln lassen. Was Berlin aber leider auszeichnet, ist die großflächige Respektlosigkeit gegenüber der eigenen Umwelt. Ich gehe selbst auch gerne mit meinen Freunden an den See, aber wir nehmen unseren Abfall wieder mit oder entsorgen ihn. In Berlin lässt man seine Reste eher liegen – weil das die anderen auch so machen. Sperrmüll fährt man bei uns in der Gegend selbst zum Wertstoffhof oder lässt ihn abholen, notfalls kostenpflichtig. In Berlin stellt man ihn einfach nachts auf den Bürgersteig. Die Kosten trägt die Allgemeinheit. In Städten wie Nürnberg, Wien oder eben München sind die genannten Probleme deutlich kleiner – was in meinen Augen aber nicht für Spießertum spricht, sondern für Lebensqualität und Rücksichtnahme.

Klimapolitik nach Hauptstädter Art (Foto: Berlin Shithole City)


ALIAS: Leben Sie noch in Berlin?
Schmidt: Ich wohne wieder in meiner alten Heimat und bin jeden Tag dankbar dafür. Die Zeit in Berlin hat mir gezeigt, wie viel Lebensqualität man andernorts genießen kann und teilweise für selbstverständlich nimmt.

ALIAS: Welcher Post auf Ihrer Seite hat es Ihnen besonders angetan?
Schmidt: Der Aushang eines Edeka-Marktes in Kreuzberg: „Liebe Kunden, bitte bringen Sie unsere Wagen wieder zurück! Andere Kunden möchten auch ihren Einkauf tätigen!“ – verbunden mit noch fünf verbliebenen Einkaufswagen und einem weiteren Foto eines leeren Einkaufskorbhalters. Die übrigen Wagen sind im Viertel verstreut, die Körbe allesamt von Kunden geklaut worden. Der Edeka-Azubi bekam dann den Auftrag, die Wagen in Hauseingängen zusammenzusuchen. Für vernunftbegabte Menschen ist es eine Selbstverständlichkeit, seinen Einkaufswagen zurückzubringen. In Berlin muss ein entsprechender Zettel ausgehängt werden – mit einem Tonfall, als spräche man mit einem Sechsjährigen.

ALIAS: Was empfehlen Sie Followern, die sich beim nächsten Berlin-Besuch adäquat vom Zustand der Hauptstadt überzeugen möchten?
Schmidt: 20 Minuten am Stück U8 fahren ist wie eine Sozialstudie. Sehr spannend. Und dann am Hermannplatz aussteigen und versuchen, drei Minuten dort zu bleiben, ohne Drogen angeboten zu bekommen. Für Gruppen empfiehlt sich außerdem eine Art Schnitzeljagd: Man steigt im Wedding aus, teilt sich in Kleingruppen, sucht sich eine beliebige Straße und läuft 500 Meter. Die Gruppe, die mehr Shisha-Bars, Wettbüros und Handyläden zählen konnte, hat gewonnen.

ALIAS: Wo ist Berlin am hässlichsten?
Schmidt: Aus architektonischer Sicht sind die Plattenbauten in Marzahn ganz vorne dabei, aber auch große Teile vom Wedding und Neukölln sind ziemlich verwahrlost.  

ALIAS: Was lieben Sie an Berlin?
Schmidt: Sehenswert und beeindruckend finde ich die Überreste der deutschen Geschichte, zum Beispiel den Tränenpalast, das Stasi-Museum, das gesamte Olympiagelände, den Flughafen Tempelhof. Und zugegeben: Man kann in Berlin wirklich günstig essen und feiern gehen.


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