Jargon der Achtsamkeit

Was bleibt vom linksliberalen Feminismus? Nimmt man den neuen Sammelband „Unlearn Patriarchy“ als Maßstab, ist zu fürchten: nicht mehr als dröge Selbsthilfe- und Karriere-Literatur.

von Nico Hoppe

Bereits 1991 schrieb Christoph Türcke: „Wo die Frauenbewegung es unternimmt, dem Kapitalismus seine patriarchalen Flausen auszutreiben, da agiert sie mit dem Rückenwind der Geschichte.“ Mehr als dreißig Jahre später bestätigt sich dieser Satz immer wieder neu.

In einem gerade erschienenen Sammelband wird der krawallige Slogan „Smash the Patriarchy“ durch den reichlich dezenteren Titel „Unlearn Patriarchy“ ersetzt. Weil selbst den Herausgeberinnen klar zu sein scheint, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit in westlichen Ländern nur noch unzureichend als Patriarchat bestimmen lässt, wird aus dem einstigen Herrschaftsverhältnis eine verschwommene Struktur, die in unserem täglichen Denken und Handeln überlebt habe: „Es ist die Stimme des Patriarchats, die uns bestraft, wenn wir es wagen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen, wenn wir aus den vorgeschriebenen Rollen und gesellschaftlichen Erwartungen auszubrechen versuchen. Doch wir fragen uns noch immer, wie wir diese fiese, quälende Stimme zum Verstummen bringen.“

Sprache, Arbeit, Technologie und Familie sind nur wenige der Felder, die in „Unlearn Patriarchy“ als Machträume des Patriarchats untersucht werden. Es handelt sich bei diesem Sammelband aber nicht um eine Fortsetzung oder Aktualisierung früherer feministischer Untersuchungen tradierter und verinnerlichter Misogynie. Wenn die Autoren überhaupt Bezug auf den Feminismus vergangener Zeiten nehmen, dann enthistorisieren sie dessen Wirken entweder, indem sie die historische Wandlung bestimmter kritisierter Phänomene wie der bürgerlichen Kleinfamilie nicht zur Kenntnis nehmen, oder sie verdammen ihn für sein angeblich mangelndes Bewusstsein in Sachen Antirassismus.

Die Herausgeber scheinen viel zu gut zu wissen, dass nicht feministische Theorie, sondern die unersättliche Beschäftigung mit dem Ich für strahlende Augen bei einer Zielgruppe sorgt, in deren Welt der Begriff „Feminismus“ zum Hashtag verkümmert ist. Wenn in den verschiedenen Beiträgen des Sammelbands Ratschläge gegeben werden, wie Prägungen und Vorurteile zu überwinden sind, dann erinnert das an dröge Selbsthilfe- und Karriere-Literatur.

Alles, was einen am persönlichen Fortkommen hindern könnte, erregt Anstoß.

Bücher wie „Unlearn Patriarchy“ werden zu Beststellern, weil sie ein bereits eingeweihtes Publikum noch enger aneinander binden. Als Bindemittel dienen Nullbegriffe: Von „Solidarität“, „Verantwortung“ und „Respekt“ ist da die Rede, als könnte die Berufung auf wärmespendende Wohlfühlwörter eine kritische Analyse ersetzen. Kein Beitrag des Sammelbands kommt ohne die schmierige Atmosphäre der inszenierten Nahbarkeit aus, in der banale Eindrücke, persönliche Anekdoten und intimste Gefühle den Zweck erfüllen müssen, die Abwesenheit interessanter Gedanken zu kaschieren.

Den negativen Höhepunkt stellt in dieser Hinsicht der Beitrag „Unlearn Geld“ von Ise Bosch dar, in dem es gleich zu Beginn heißt: „Warnhinweis: Dieser Text handelt vom Innenleben von Menschen, die Geld haben. Er nimmt die Möglichkeit ernst, dass auch Vermögende das Patriarchat ablehnen und die Folgen für sie recht verzwickt sein können – gemischte Gefühle, Undurchsichtigkeiten, Lebensentscheidungen mit gravierenden Konsequenzen. Für die vielen Menschen mit zu wenig Geld ist es sicher eine Zumutung, sich hiermit überhaupt zu beschäftigen. Sollen sie jetzt etwa Verständnis aufbringen für die Reichen? […] Menschen, die sich nicht mit den Problemen der Reichen beschäftigen möchten, die Wut empfinden (zu Recht), können jetzt gern zum nächsten Beitrag weiterblättern.“ Alle anderen sollten es auch tun, wenn sie sich nicht durch einen ganzen Text Befindlichkeitstheater quälen wollen.

Davon abgesehen zeigt „Unlearn Patriarchy“ jedoch überraschend unverblümt, welche Funktion die linksliberale Feminismus-Rhetorik heute hat: Alles, was einen am persönlichen Fortkommen hindern könnte, erregt Anstoß, muss als Produkt patriarchalischer Glaubenssätze erkannt und schließlich skandalisiert und entfernt werden. Dieser Business-Feminismus, der dem schnöden kapitalistischen Konkurrenzgebaren den Glanz der Selbstfindung und Weltverbesserung verpasst, wird im Sammelband unverhohlen durch zahlreiche Autorinnen vertreten, die stolz auf ihren Hintergrund als Unternehmerinnen verweisen und betonen, wie produktiv und anregend Quoten und Diversity auf die Unternehmenskultur wirken. In Zeiten flexibilisierter Arbeitsorganisation muss das Hauen und Stechen eben ganz neu gelernt werden.

Die zentrale Aufgabe von Wellness-Pamphleten wie „Unlearn Patriarchy“ ist es, die Wahrheit des Bestehenden zu übertünchen.

„Unlearn Patriarchy“ gewährt einen unfreiwilligen Blick auf den Kampf aller gegen alle, in dem nur jene Durchsetzungswilligen gewinnen, die sich als Individuen auslöschen, um sich stattdessen als Ballung identitärer Abzeichen zu profilieren. Das fanatische, aber nachvollziehbare, weil gesellschaftlich abverlangte Bestreben, sozial nicht abrutschen zu wollen, ist wohlgemerkt kein Novum des postmodernen Feminismus. Hier wird nur gleichgezogen mit jener Ausweitung der ökonomischen Kampfzone, die seit Jahrzehnten im Gange ist und sich in Form des Business-Feminismus in verniedlichte Pracht geschmissen hat.

„Unlearn Patriarchy“ zeigt, dass sich der Jargon der Achtsamkeit, der zur Schau getragenen Empfindsamkeit und Demut, sich sowohl im verkitscht-esoterischen Stil von Autorinnen wie Kübra Gümüşay als auch in der pragmatisch-rationalen Diktion junger Unternehmerinnen sprechen lässt. Die Lobpreisung der Vielfalt, der Offenheit und der Sensibilität lässt sich auf beide Arten leisten, weil sie möglichst anwendbar auf gesellschaftliche Verhältnisse reagieren muss, die sich nicht mit Appellen für ein sanfteres Miteinander harmonisieren lassen.

Die zentrale Aufgabe von Wellness-Pamphleten wie „Unlearn Patriarchy“ ist es, diese Wahrheit des Bestehenden zu übertünchen. An die Stelle von Tatsachen setzt man Multiperspektivität, Urteilsenthaltung und den beinahe zwanghaften Nachdruck auf die eigene Fehlerhaftigkeit, hinter dem sich letztendlich überschäumende Eitelkeit verbirgt: „Erst wenn wir uns von unserem Absolutheitsanspruch verabschieden und uns unserer Begrenztheit bewusst werden, […] werden wir verlernt haben, was war, und erlernen, was sein könnte.“ Einer gewissen Ironie entbehrt es nicht, dass diese Zeilen ausgerechnet von Gümüşay stammen – also einer Autorin, die sich im Umfeld von garantiert nicht-patriarchatskritischen Akteuren wie dem Islamischen Zentrum Hamburg bewegt, dessen Leiter Mohammad Hadi Mofatteh vom Verfassungsschutz als Vertreter des iranischen Regimes in Deutschland eingeordnet wird.

Jeder strengen Analyse, jedem deutlichen Urteil abzuschwören gilt in der Postmoderne als Beweis von Philanthropie und Toleranz, obwohl es tatsächlich nur die Abschaffung jedweder ans Fundament gehenden Kritik befeuert. Der Jargon der Achtsamkeit ist das sprachliche Pendant zur farbsatten, heiteren Instagram-Ästhetik. Was seine Fürsprecher als Veränderung im Mund führen, ist reine Anpassung an den neuesten Trend.

Δ Nico Hoppe


Unlearn Patriarchy (Hrsg.: Lisa Jaspers, Naomi Ryland, Silvie Horch) ist bei Ullstein erschienen (320 S., 22,99 €).

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