Kampf den Kartoffeln

Der Verfassungsschutz Niedersachsen hält deutsche Rechtsextreme für die größte Gefahr, die der Demokratie hierzulande droht. Oder wie die Geheimdienstler ihren ewigen Staatsfeind Nr. 1 in einem Video nennen: die normalen Kartoffeln.

Der Verfassungsschutz Niedersachsen bleibt Trendsetter und ist in Sachen Identitätspolitik sogar noch Katrin Göring-Eckardt voraus. Zum Auftakt der Fußball-EM postete die Behörde auf ihrem Instagram-Kanal ein Video, in dem Nationalspieler Florian Wirtz Kartoffelgerichte bewertet. Im Untertitel Langeweile: „Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie.“ So weit, so einschläfernd. Der nächste Satz, er soll wohl witzig sein, hat mehr Feuer: „Unseren demokratischen Kartoffeln aus der National 11 drücken auch wir ab heute die Daumen bei der Heim-EM.“

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Die „normalen Kartoffeln“, sagt Wirtz, würde er sogar auf Platz eins setzen. Das Video wurde ursprünglich vom DFB mit anderem Untertitel gepostet. Doch nicht nur durch diese Änderung hat der Verfassungsschutz den Sinn des eigentlich politisch harmlosen Reels verdreht: Auf der eingeblendeten „normalen Kartoffel“, die für Wirtz vermutlich aus geschmacklichen Gründen den ersten Platz verdient hat, liegt nun ein Hakenkreuz.

Was uns dieser Clip in seiner geremixten Form sagen soll, ist nicht schwer zu entschlüsseln: Im deutschen Acker gedeiht noch immer die böseste aller Knollen. Islamisten, russischer Imperialismus und die Irren aus Wokistan hin oder her – die Deutschen sind, besonders im schaurig-schicken Nazilook, die größte Gefahr für sich selbst. Und sie können deshalb, so scheint es, auch unter Generalverdacht gestellt und rassistisch beschimpft werden. Normale Kartoffeln eben.


„Kartoffeln“ und „Spaghettifresser“

Dem in Sachen Rassismus einigermaßen sensiblen Menschen mag nun folgender Gedanke konsequent erscheinen: Wenn die Beleidigung „Kartoffel“ mittlerweile zum Marketingvokabular des Verfassungsschutzes gehört, dürfen Neonazis dann auch wieder „Spaghettifresser“ und „Schlitzaugen“ sagen, ohne das Risiko einzugehen, deswegen als Gefahr für die Demokratie zu gelten?

Die Antwort hierauf, nicht nur der Geheimdienstler aus Hannover, ist voraussehbar: „Kartoffel“ das wisse jeder, sei nicht mehr als eine scherzhafte Eigenbezeichnung für Deutsche. Wer das allerdings behauptet, ist mit Sicherheit nicht in einem sogenannten Problemviertel aufgewachsen.

Bekommt man in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh etwa auf einem Schulhof als „Biodeutscher“ (Cem Özdemir) das Wort „Kartoffel“ zu hören, ist man besser früh in der Lage, sich auch körperlich zur Wehr zu setzen. Das Argument „Eigenbezeichnung“ greift hier so wenig wie bei dem Wort „Jude“, das sich bekanntlich – zur Beleidigung pervertiert – in denselben Problemvierteln ebenfalls erheblicher Beliebtheit erfreut. Und das in der Regel ganz ohne Juden, denn die wissen, wie auch eine zunehmende Zahl „Biodeutscher“, dass der Verfassungsschutz in Neukölln weit, die Faust des Bullys mit Migrationshintergrund aber nah ist. Umziehen liegt in solchen Quartieren für viele nicht erst seit dem 7. Oktober im Trend.


Fotodumps aus dem Beamtenalltag

Der Verfassungsschutz Niedersachsen folgt einer anderen Mode: In Hannover hat man offenkundig mitbekommen, dass die Selbstherabsetzung unter Deutschen im Jahr 2024 so angesagt ist, dass auch vor einer Art von Begriffen kein Halt gemacht werden muss, für die, würde der Spieß umgedreht, jede Toleranz ausgeschlossen wäre.

Zur wirklich kniffligen Angelegenheit dürfte das Trendbewusstsein des Verfassungsschutzes erst werden, wenn es dazu führt, dass er sich, weil unter Kartoffelverdacht stehend, selbst beobachten muss. Zum Glück haftet dem Selfie heute kein Stigma mehr an – wilden Fotodumps aus dem Beamtenalltag sind also kaum Grenzen gesetzt. Um den Rest kümmert sich dann … ja, wer eigentlich?

Δ Florian Friedman

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