Zu den Arbeiten des israelischen Künstlers Klone zählen heute auch Leinwände, bekannt wurde er aber für seine großformatigen Wandgemälde im öffentlichen Raum. Ein Gespräch über Graffiti, Grenzüberschreitungen und nichtlineare Erinnerungen.
ALIAS: Der Schriftsteller Harlan Ellison hat einmal geschrieben: „In einer Welt der Autobahnen gibt es keinen Platz für gehende Menschen.“ 2021 gehört für viele das Zufußgehen zwar noch zum Alltag – allerdings klebt selbst ein Großteil der Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, am Handy-Display. Wie viel Sinn ergibt es in solchen Zeit noch, den öffentlichen Raum mit Graffiti erobern zu wollen?
Klone: Nun, wir können eigentlich schon das Malen von Graffiti an sich infrage stellen. Graffiti war schon immer vor allem eine Form des Selbstausdrucks. Ob nun ein politischer Slogan oder ein Wildstyle-Piece: Alles beginnt mit der Person, die malt, die das Risiko eingeht, aber auch die Verantwortung übernimmt. Als Bewegung wurde Graffiti, denke ich, von verschiedensten Gruppierungen genutzt und ausgenutzt – durch die Modeindustrie, den Kunstbetrieb, die Politik und so weiter. Und doch ging es in erster Linie immer – ob nun über den Weg des Styles oder einen Mangel an selbigem – um die Person, die für die Aktion verantwortlich ist.
ALIAS: Was meinen Sie damit genau?
Klone: Graffiti ist heute so relevant und gleichzeitig irrelevant wie eh und je. Für einige wird es immer ein Akt der Rebellion sein, für andere eine Belästigung – und die Mehrheit der Menschen ignoriert Graffiti einfach und akzeptiert es irgendwie als Teil des visuellen Lärms, mit dem sie im städtischen Umfeld ohnehin leben muss.
ALIAS: Sie nennen ihre Graffiti „Interventionen“. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, was einen guten Ort für eine dieser Interventionen darstellt?
Klone: Ich habe mal ein Meme gesehen, das eine Straßenecke zeigte, auf der alle potenziellen Stellen für Bilder und Tags aufgezeichnet waren, die Graffiti-Writern so ins Auge fallen. Das hat gut auf den Punkt gebracht, wie sehr wir die Stadt als Anordnung von Flächen betrachten. Ich glaube, der richtige Ort für ein Graffiti spricht einen sofort an, und dann stellt sich nur noch die Frage, mit was und wann sie bemalt wird. Manchmal sehe ich eine Wand und habe den Drang, sie noch am selben Tag zu bemalen, und oft tu ich das dann auch. In einem anderen Fall beobachte ich eine Stelle vorher vielleicht monatelang.
ALIAS: Wie wichtig ist Ihnen beim Malen dann das Erlebnis der Grenzüberschreitung?
Klone: Etwas ohne Erlaubnis zu tun und damit mutmaßlich gegen ein Gesetz zu verstoßen, ist vor allem wichtig für einen gewissen Aspekt der Redefreiheit im Werk selbst. Ich mache sowohl genehmigte als auch nicht genehmigte Wandmalereien. Wichtig ist nur, dass ich das tun kann, was sich für das Kunstwerk und die Umgebung, in der es sich befindet, richtig anfühlt. Was in beiden Fällen und auf beiden Seiten des Gesetzes möglich ist.
Ich stelle alles infrage, von dem ich glaube, dass es vor der Gegenwart passiert ist.
Klone
ALIAS: Apropos „Grenzüberschreitung“: Mussten Sie schon einmal um ihr Leben fürchten?
Klone: Es gab viele Situationen, in denen mir klar wurde, dass ich in genau diesem Moment sterben könnte. Aber ich denke, solche Momente sind ganz normal, wenn deine Hobbys darin bestehen, in verlassene Gebäude zu klettern, Bahngleise zu überqueren, ohne Bremsen Rad zu fahren – und ganz allgemein: zu leben.
ALIAS: Sie sagen, sie gehen in Ihrer Kunst mit Erinnerung in „nichtlinearer Weise“ um. Gibt es überhaupt einen anderen Weg?
Klone: Ich denke schon. Die übliche Weise, sich zu erinnern, besteht doch darin, von der Geburt bis zur Gegenwarteine eine Zeitachse zu konstruieren – mit einigen besonderen Momenten, die passiert sein könnten, einige glücklich, andere dramatisch und so weiter. Ich habe aber dagegen das Gefühl, dass mein Gedächtnis völlig durcheinander ist, und ich ertappe mich dabei, wie ich alles infrage stelle, von dem ich glaube, dass es vor der Gegenwart passiert ist. Aber was weiß ich denn schon? Ich war noch nie in Therapie.
ALIAS: Eine ausgesprochen nichtlineare Art der Auseinandersetzung mit Erinnerungen besteht darin, sich aus nostalgischen Gründen an bestimmte Objekte zu klammern. Welcher Gegenstand aus Ihrem Haushalt hätte längst weggeworfen werden sollen?
Klone: Ich hätte kein Problem damit, alles, was ich besitze, wegzuschmeißen und neu anzufangen. Das ist einfacher, als sich für einen Gegenstand zu entscheiden, und ergibt für mich auch mehr Sinn.
ALIAS: Gegenständen messen Sie also keine große Bedeutung zu. Wie sieht es mit Kunst aus? Warum ist Kunst wichtig?
Klone: Sie hilft Künstlern, sich auszudrücken. Ich glaube, dass diese Menschen ohne das Ausdrucksmittel Kunst verloren wären.
Δ Interview: Florian Friedman